Schutzraum des Dichters – Thomas Bernhard
Im oberösterreichischen Ohlsdorf erwarb der Schriftsteller Thomas Bernhard in den 1960er-Jahren mehrere Landimmobilien, die er aufwändig restaurierte und einrichtete. Sie geben viel preis vom bestgehaßten und berühmtesten Dramatiker seines Landes
1965 kaufte Thomas Bernhard einen stark verfallenen Vierkanthof aus dem 14. Jahrhundert im Alpenvorland bei Gmunden. Nach dessen Instandsetzung zog er sich immer wieder in seinen „Denk- und Schreibkerker“ zurück, vor allem dann, wenn ihm die „Massenarmseligkeit und Massendummheit“ zu viel wurde. Auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, als zuweilen Journalisten oder verliebte Anhängerinnen das Haus belagerten, legte er sich kurzerhand ein zweites Anwesen zu, weit im Wald, fernab der Zivilisation. Bald folgte ein drittes. Bernhards Häuserobsession fiel in einer Zeit des Modernisierungswahnes. In den Großstädten schlug man den Stuck von den Fassaden, klassische Einrichtungen entsorgte man im Sperrmüll und auch auf dem Land wurde alles Alte als wertlos deklariert. Man gewährte der Resopalplatte ihren fatalen, bis heute nachwirkenden Einzug in die Idylle. Der Schriftsteller wollte dagegen ein Zeichen setzen. Doch nicht nur das. Vielmehr heilten ihn die Häuser auch von seinen eigenen Verletzungen.
Als Thomas Bernhard am 12. Februar 1989 im Alter von 58 Jahren starb, nur wenige Monate nach der turbulenten „Heldenplatz“-Uraufführung am Wiener Burgtheater unter Claus Peymann, gingen die Häuser an seinen Halbbruder Dr. Peter Fabjan über. Im Jahr 1990 machte dieser den Vierkanthof mit der von ihm und seiner Frau geführten „Thomas Bernhard Nachlassverwaltung GmbH“ mitsamt der unverändert erhaltenen, charakteristischen Einrichtung der Öffentlichkeit zugänglich. Viele der Kritiker und Jünger standen recht verdutzt vor dem, was nun zu sehen war. Hatten sie sich zuvor die karge Schreibstube eines existentialistischen Dichters erträumt, belebt einzig von dem ein oder anderen Möbel der klassischen Moderne, wurden ihre Erwartungen herbe enttäuscht. Die Besucher erwartete vielmehr ein halb bäuerlicher, halb landadliger Einrichtungsstil, großbürgerlich ausgestattete Gästezimmer, goldumrandetes Geschirr für ganze Gesellschaften, eine voll funktionsfähige Profiküche, Jagdgewehre, Reitstiefel und Tabakpfeifen.
Empfangen hatte Bernhard in dem Haus jedoch kaum jemanden, Feiern keine ausgerichtet. Weder hatte er gejagt, geraucht, noch jemals auf einem Pferd gesessen. Wozu also das Ganze? Als Bühnenbild seines Lebens, wie manche Kritiker glauben? Als humorvolle Hinterlassenschaft an die Nachwelt gar? Wohl kaum. Vielmehr scheint sich der ewig wütige Gegenwartsverächter in seinen Häusern bis zur Übertreibung hin den Zufluchtsort geschaffen zu haben, der ihm im wahren Leben fehlte. Eine Art intellektuelle Neverland-Ranch, in der er sich sicher fühlte, vollkommen ungeachtet des Nutzwertes all der angesammelten Einrichtungsgegenstände. Es ist der Landsitz eines Einzelgängers, der die Selbstisolierung zugleich brauchte und fürchtete. So wird es weniger die Lust an der Inszenierung, sondern eher der Wunsch danach gewesen sein, der unruhige Geist möge Ruhe finden, der Bernhard zu seiner Objekt-und Immobilienleidenschaft trieb. Ein Mittel dazu, die eigene Unsicherheit in den Griff zu bekommen und der Bedrohung der Außenwelt an diesem einen Ort zu entgehen.
Die Häuser mögen dem Schriftsteller auch dabei geholfen haben, Belastungen der frühen Lebensjahre aufzufangen und die Wunden eines als uneheliches Kind in instabilen Verhältnissen aufgewachsenen Heimatlosen zu heilen, der einmal sagte: „Mein Wunsch war immer schon gewesen, ein Haus für mich allein zu haben, und wenn schon kein richtiges Haus, so doch Mauern um mich herum, in welchen ich tun und lassen kann, was ich will, in welche ich mich einsperren kann“. Die Häuser werden die Geheimnisse ihres Eigentümers niemals ganz preisgeben. Als Zeugnis der Sensitivität eines von der Öffentlichkeit seines Heimatlandes oft missverstandenen Geistes bleiben sie bestehen.
André Heller, Barbara Vinken, Dietmar Steiner, Ronald Pohl,
Christian Schachinger, Peter Fabjan, Hertha Hurnaus:
Thomas Bernhard – Hab & Gut. Das Refugium des Dichters.
Der einzigartige Bildband zum 30. Todestag am 12. Februar 2019,
Brandstätter Verlag, 176 Seiten mit 80 Abbildungen, ISBN 978-3-7106-0310-5